„Streiten und vertragen“

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Hanna, 10 Jahre, Neuhausen am Rheinfall, Schweiz

* * * * *

Es waren einmal zwei Schwestern namens Marie und Sofie. Sie lebten in wundervollem Frohsinn mit ihrer lieben Mutter in einem kleinen Häuschen. Die drei hatten es gut, bis eines Tages die 13-jährige Marie und die 15-jährige Sofie einen unerlaubten Spaziergang in den gefährlichen Hexenwald machten. Sie hinterliessen der Mutter einen Zettel auf dem Küchentisch, damit sie von ihrem Vorhaben wüsste, wenn sie heimkäme. Als nun die Mutter den Zettel las, erschrak sie sehr und es erschienen Tränen der Angst in ihren Augen. Um ihre Kinder zu retten, lief sie geradewegs in den unheimlichen Hexenwald hinein, wo sie überall komische Geräusche hörte. Plötzlich packte sie jemand von hinten an den Schultern und drehte sie grob um. Vor ihr stand die böse Hexe und grinste. «Du wirst ein Festmahl, häh, häh, häh!», rief sie und hob beschwörend die Hände. Sie murmelte magische Worte:

«Weil ich Menschenfleisch nicht mag

und dein Gejammer nicht ertrag,

wirst du jetzt ein Huhn. Gag, Gag!»

Ein gleissend helles Licht hüllte die Mutter daraufhin ein und als es erlosch, stand an ihrer Stelle ein Huhn, das die Hexe in einen Korb setzte und mitnahm.

Unterdessen kamen die Mädchen zerstritten nach Hause, da Marie sich doch nicht in den Hexenwald getraut hatte, Sofie aber unbedingt hatte hineingehen wollen. Als sie nun die Tasche der Mutter auf dem Küchentisch sahen, wussten beide, dass ihre Mutter sie suchen gegangen war. Sie warteten sehr lange auf ihre Rückkehr. Langsam wurde es dunkel und als die Mutter bis spät in die Nacht nicht kam, schrie Marie erzürnt: «Jetzt hat die Hexe Mama geholt und du bist schuld! Ich gehe sie jetzt suchen.» «Dann geh doch!», rief Sofie ebenso zornig. Marie riss ihre Jacke vom Haken, zog die Tür auf und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Sofie blieb allein zurück und ging ohne Abendessen ins Bett. Am nächsten Morgen beschloss sie, ihre Mutter ebenfalls zu suchen. Während das Mädchen von zuhause losging, wachte ihre jüngere Schwester gerade auf. Doch, o je, Marie lag nicht mehr unter der schönen Tanne, in deren Schutz sie in der vergangenen Nacht eingeschlafen war, sondern in einem Käfig mit Stroh auf dem Boden. Plötzlich hörte sie ein dreckiges Lachen und eine Hexe tauchte vor ihr auf. Und wen hielt sie an den Haaren fest? Ihre Schwester Sofie! Die Hexe sperrte das Mädchen in einen zweiten Käfig neben Marie. Die beiden Kinder warfen sich bitterböse Blicke zu, als sie plötzlich ein grosses, dickes Huhn entdeckten, das auf sie zuging und zu gackern begann: «Gog, gog, ihr müsst mir helfen, Kinder, die Hexe will mich essen!» Das war ja ihre liebe Mutter! Marie und Sofie waren geschockt und Marie flüsterte: «Wollen wir uns wieder vertragen?» «Ja», antwortete Sofie. Die Mädchen gaben sich durch die Gitterstäbe hindurch die Hände und schmiedeten heimlich einen Plan. Auf einmal begann Sofie fürchterlich zu jammern und sich zu krümmen. Die Hexe kam, um nachzusehen, was los war. «Was jammerst du denn so?», fragte sie genervt, schloss den Käfig auf, kam ein Stück weit hinein und beugte sich über das Mädchen. «Zeig mal her!», befahl sie, doch da riss ihr Sofie plötzlich ihr Hexenamulett vom Hals und warf es mit voller Wucht an die Wand. Als es dort zerschellte, stiess die Hexe einen lauten Schrei aus und löste sich in Luft auf. Nun fragt ihr euch wahrscheinlich, warum das geschah? Nun ja, jede Hexe hat solch ein Amulett, ohne das sie nicht leben kann. Geht es kaputt, löst sie sich in Luft auf und mit ihr all ihre Zauberkraft. So geschah es, dass auch das verzauberte Huhn seine ursprüngliche Gestalt wieder annahm und die Mutter ihre Kinder befreien konnte. Sie gingen gemeinsam zurück in ihr Häuschen, wo sie weiterhin fröhlich lebten. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streiten und vertragen und streiten und vertragen sich die zwei Schwestern noch heute. Die böse Hexe jedoch sahen sie nie wieder.