„Rapunzel – Hinter den Mauern“

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Emma, 13 Jahre, Augsburg

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Es war einmal ein wunderschönes Mädchen, das lebte schon seit sie sich erinnern konnte in einem hohen Turm ohne Tür und mit nur einem einzigen Fenster weit über dem Boden. Man nannte das Mädchen auch Rapunzel. Aber so schön ihr Gesicht und so lang und golden ihre Haare auch waren, so stur, eigensinnig, verschlossen und stolz war sie doch. Wenn sie nicht gerade Trübsal blies, übte sich Rapunzel in Kampftechniken mit Schwert, Messer und Langbogen. Dabei war sie so sehr mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht merkte, wie mit der Zeit das Gemäuer des Turmes dicker und dicker wurde.   Im ganzen Lande erzählte man sich von dem armen Mädchen, das in einem Turm gefangen war. So kam es, dass sich Prinzen zu Rapunzel begaben, um die Gefangene zu retten. Jedes Mal aber war es das Gleiche: ein neuer Prinz kam, verliebte sich unsterblich in Rapunzel, sie half ihm an ihrem langen Haar in den Turm zu klettern, vergnügte sich mit ihm und servierte ihn dann unverrichteter Dinge wieder ab. Eines Tages aber erschien der siebte Prinz unter dem Fenster. „Rapunzel, Rapunzel, lass Dein Haar herunter“, versuchte er es mit den gleichen Worten wie all die anderen Prinzen vor ihm. Auch auf sein Rufen streckte das Mädchen ihren hübschen Kopf aus dem Fenster, um nur einen weiteren vergeblichen Retter zu sehen. Eigentlich wusste sie gar nicht, was diese Königssöhne überhaupt noch hier machten. Ihr ging es gut in ihrem Turm. Das Mädchen ließ also ihr Haar herunter, um auch dem neuen Prinzen hinaufzuhelfen. Der kletterte an der steilen Wand des Turmes hoch und stellte sich dabei geschickter an, als so mancher vor ihm. Außer Atem war aber auch er, als er nun oben in dem dunklen Turmzimmer stand. Zu Rapunzels Erstaunen lautete sein erster Satz nicht „Ich liebe dich so sehr und tue alles, um dich zu retten“. Zuerst fiel sein Blick auf Rapunzels Waffensammlung am Rande des Zimmers. „Du magst also Kampfsport. Ich übe auch viel mit Waffen. Dabei kann man seine Aggression gut herauslassen.“ Wenn man hoch oben in einem Turm gefangen war, abgeschieden von der Außenwelt, hatte man, so dachte Rapunzel, wirklich genügend Aggressionen. Das sagte sie aber nicht laut, denn dann wäre der Prinz wahrscheinlich sofort wieder verschwunden und das wollte sie nicht. Außerdem konnte sie gegenüber einem Fremden keine Schwäche zeigen. Rapunzel beschloss also, ihn auf die Probe zu stellen.   Prüfend sagte sie: „Ihr kommt also nicht her, um mir Komplimente zu machen, und weil ihr hofft, mein heldenhafter Retter zu sein?“ „Das habe ich längst aufgegeben. Das heißt aber nicht, dass ich euch nicht mag oder gerne als Gefangene sehe. Ich habe einfach beschlossen, dass ich ein bisschen Zeit mit euch verbringen will, um, ich weiß nicht, vielleicht zu sehen, wer ihr überhaupt seid.“ Er war der erste Prinz, der sich für sie. Anfangs begegnete sie ihm noch mit Misstrauen. Doch die nächsten Stunden vergingen wie im Flug, während sie sich unterhielten, lachten und sogar einige der Waffen ausprobierten. Als der Tag sich jedoch zum Ende neigte, wandte sich der Prinz zum Gehen. Er wollte sich schon mit traurigen Augen von Rapunzel verabschieden, da merkte diese, dass sie ihn gar nicht gehen lassen wollte. Auch wurde ihr ganz warm ums Herz, wenn er sie ansah, und ihre Haut fing an zu kribbeln, wenn er sie berührte. Diese letzten Stunden waren die glücklichsten in ihrem Leben gewesen. Sie hatte an nichts Anderes gedacht, außer an sie beide. Und zum ersten Mal kamen ihr die Mauern ihres Turmes grausam und dunkel vor. „Ich glaube…, ich will gar nicht, dass du gehst. Kannst du nicht vielleicht noch ein bisschen bleiben?“ Sie wurde rot, als sie merkte, wie unermesslich dumm sich das anhören musste. Gleichzeitig hatte sie etwas Angst vor seiner Antwort. „Willst du das wirklich?“, fragte der Prinz mit erwartungsvollem Leuchten in den Augen. Rapunzel musste lächeln, denn er sah so glücklich aus. Jetzt wurde ihr auch bewusst, dass sie den Prinzen nicht nur mochte, sondern dass sie ihm gegenüber noch viel stärker fühlte. Atemlos teilte sie ihm diese Erkenntnis mit. „Ich liebe dich.“ Bei diesen Worten wehte plötzlich ein starker Wind in den Turm und es tat einen Schlag, der den ganzen Raum für kurze Zeit erzittern ließ und mit knisternder Magie füllte. Überall von den Wänden hallte es wider: „Der Fluch ist gebrochen. Die Liebe hat ihn besiegt.“ Da bebte das alte Gemäuer. Überall taten sich Fenster auf und das helle Mondlicht durchflutete das Turmzimmer. Das war’s. Drei ach so einfach Worte, die aber eine starke Wirkung hatten. Als Rapunzel sich von dem Erlebnis erholt hatte und den strahlenden Prinzen sah, musste sie vor Freude und Glück anfangen zu weinen. Da kam der Prinz zu ihr, schloss sie in seine Arme und sie hielten sich gegenseitig, während sie weinten und ihr Glück kaum glauben wollten. Sie zogen fort in das ferne Land des Prinzen, fort von dem Turm in ein Schloss aus Liebe, das sie sich selbst erbaut hatten. Und dort lebten sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihres Lebens. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann kämpfen sie noch heute.