„‚Geliebte‘ Alte“

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Franziska, 13 Jahre, Wien, Österreich

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Einst war Zaingrub in Niederösterreich ein sehr bekanntes Dorf. Doch vor sechshundert Jahren geschah etwas, das diese gut besuchte Gemeinde zu einer Ruine machte. Diese Geschichte will ich euch heute erzählen.

Vor sechshundert Jahren lebte abseits des Dorfes eine boshafte Maid namens Herlinde, die hatte nur einen Freund namens Walter. Andere Freunde hatte sie wegen ihres Ehrgeizes nicht. Zu Mitternacht hatte die Frau die eigenartige Angewohnheit, sich auf einen Brunnenrand zu setzen und mit einer unbekannten Person zu reden. Wenn sie das tat, fluchte sie über die Welt, die – ihrer Meinung nach – viel zu ungerecht zu ihr war. Zur Abendstunde kam Walter vorbei und brachte ihr immer Wodka und Kuchen mit. Meistens redeten die beiden, wobei Walter meistens mehr zuhörte, als ihr zu widersprechen. Wer Herlinde kannte, wusste, dass sie ihrer eigensinnigen Meinung nie müde wurde. Walter kannte sie gut, weil er manchmal der Einzige war, der sich um sie kümmerte. Wegen seiner Fürsorge verliebte sie sich eines Tages in ihn.

Doch es gab einen Grund, weshalb sie dem Walter böse war. Dieser Grund war seine über alles geliebte Schwester Gretel. Gretel war ein braves Mädchen, das immer schon sehr sozial war. Die beiden Geschwister trafen sich regelmäßig zu Mittag. Als Herlinde davon erfuhr, passte es ihr natürlich überhaupt nicht, weshalb sie beschloss, dem ein Ende zu setzen. Die Maid versuchte ihren Freund zu überreden, seine Schwester zu hassen, was allerdings scheiterte.

Ab diesem Zeitpunkt griff sie zu anderen Maßnahmen, die um einiges drastischer waren. Als sie wieder einmal an ihrem Brunnen saß und redete, wünschte sie sich, ihr Gesprächspartner würde ihr helfen. Da begann der Brunnen zu zittern und eine Stimme sprach zu ihr:“ Wenn du nicht aufhörst, an deinen Willen und Ehrgeiz zu denken, so gebe ich dir die Kraft, anderen Menschen Böses anzutun. Du musst aber öfter hierher kommen.“ Und so versprach die Maid, öfter zum Brunnen zu kommen.

Als Walter das nächste Mal zu ihr kam, drohte sie ihm, seine Schwester zu verfluchen, wenn er Herlinde nicht heirate und seine Blutsverwandte nicht fortbringe. Der arme Walter brachte Gretel in eine Stadt und sorgte für ein Dach über ihrem Kopf. Danach musste er sie zurücklassen, damit ihr nichts zustieß. Einige Tage später heiratete Walter Herlinde, die er mittlerweile auch nicht mehr mochte, weil sie so gemein zu ihm war.

Einige Jahre später bekam sie eine Tochter namens Alice. Das Mädchen mochte ihre Mutter auch nicht, da sie von Herlinde wenig Zuneigung bekam. Aber Alice wurde größer und größer, nach sechzehn Jahren war sie schließlich erwachsen. Selbst im Erwachsenenalter konnte Alice ihre Mutter nicht leiden.

Während all dieser Jahre war Herlinde im Dorf zur unbeliebtesten Person geworden. Die einst so ehrgeizige Maid war nun eine runzelige alte Frau, die nichts von ihrem Ehrgeiz, aber sehr viel von ihrer einstigen Schönheit eingebüßt hatte. In der kleinen Gemeinde nannten sie mittlerweile alle „die Alte“. Ihr wurde auch ein Pakt mit dem Satan nachgesagt, aber niemand verklagte sie, weil alle Angst um ihre Familien und Freunde hatten. Jedem, der versuchte sie auszukundschaften oder zu verklagen, ließ die Alte etwas zustoßen. So konnte sie immer ungestört mit ihrem Brunnen reden. Nach einiger Zeit wurde es den Dorfbewohnern aber unheimlich zumute, weshalb sich immer mehr Leute gegen sie stellten. Mit der Zeit kam es zu Streitereien und Beschwerden, die immer mehr wurden. Der arme Walter war mittlerweile auch sehr alt geworden und war nicht sehr glücklich, weil er seine Schwester nur noch selten zu Gesicht bekam und immer noch so tun musste, als ob er Herlinde mögen würde.

Als die Tochter schließlich erwachsen war, begannen einige der Gemeindemitglieder, etwas gegen die Alte zu unternehmen. Nach und nach versuchten die Personen, Herlinde zu vertreiben. Alice schloss sich ihnen an, als ein neuer Bewohner in die Gemeinde zog. Sein Name war Johannes und er hielt sehr viel von Menschenrechten. Er war Herlinde ein Dorn im Auge, weshalb Alice ihn umso mehr mochte. Nach einem Jahr waren sie beste Freunde, obwohl Herlinde mittlerweile mehrere Male am Tag zum Brunnen ging und um Rat fragte.

Walter wurde auch immer misstrauischer, weshalb er öfter so tat, als würde er sich besonders gut um seine Frau kümmern, um herauszufinden, was sie immer tat. Er kümmerte sich auch gut um Alice, was die Alte wütend machte. Trotzdem liebte ihn die Alte immer noch, weil sie glaubte, er würde sie immer noch verehren. Da Walter meistens so tat, als wäre das wirklich so, war die Täuschung perfekt.

Als Alice schließlich mit Johannes durchbrannte, verbrachte ihre Mutter fast den ganzen Tag an ihrem Brunnen. Natürlich erfuhr Walter das und stellte mithilfe der anderen Gemeindebewohner der Alten eine Falle.

Als Herlinde wieder einmal an ihrem geliebten Brunnen saß, kamen einige wütende Dorfbewohner, die sich rund um sie und den Brunnen aufstellten. Unter ihnen war Walter, der wegen seiner Schwester und seiner Tochter auch wütend war. Als die Alte ihn sah, traute sie zuerst ihren Augen nicht, dann aber lachte sie.“ Ich hätte wissen müssen, dass du mich betrügst, “ meinte Herlinde. Daraufhin trat Walter vor und entgegnete ihr:“ Ich habe dich niemals betrogen, weil ich dich auch niemals geliebt habe.“ Mit diesen Worten stieß er sie in den Brunnen. In dem Moment erzitterte der Brunnen und der verlassene Hof, der rund um den Brunnen errichtet war, stürzte ein. Nur die Hälfte der Personen, die ursprünglich beteiligt waren, schaffte es noch hinaus. Die andere Hälfte, unter ihnen Walter, wurde verschüttet. Die Leichen wurden nie geborgen.

Doch zu Mitternacht ertönte ein Fluchen aus dem Brunnen. Die Dorfbewohner fürchteten sich und verließen das Dorf.

Heute besteht Zaingrub nur noch aus ein paar Häusern, unter denen noch viele verlassene Bauten zu finden sind. Doch wer zu Mitternacht lauscht, kann vielleicht noch ein leises Fluchen hören.