„Die Liebe zum Leben“

Eingetragen bei: Wettbewerb: Alles Liebe oder was? | 0

Judith, 15 Jahre, aus Wien

*****

Gelangweilt saß ich auf einen der stinkenden, roten Plastik Stühle welche in diesen Geschäften vor jeder Umkleidekabine standen. Meinen Zeichenblock hielt ich fest in meiner linken Hand, während ich mit meiner rechten ein paar Blumen darauf kritzelte. Meine Augen vielen fast zu vor Müdigkeit. Wie lange waren wir schon hier, meine Schwester und ich? Ich hatte keine Ahnung, ich hoffte nur dass sie so schnell wie möglich ein Kleid aussuchen würde und wir gehen könnten. Kurz bevor meine Augen ganz zufielen hörte ich ein lautes Klacken welches von der Richtung kam in der meine Schwester nun mit einem Plastik Täschlein stand und es betrachtete. Das Klacken kam von ihren schwarzen Highheels und die Tasche funkelnde in dem Licht der Plastik Lampen welche über uns hingen. Meine Augen taten von diesem Licht schrecklich weh. Ich rückte meine Brille zurecht und betrachtete meine Schwester genauer. Sie hatte ein kurzes enganliegendes rotes Kleid an. Ihre gewellten Haare saßen perfekt und ihr Makeup war makellos. Plastik. War das erste Wort das mir wieder einfiel als ich sie so sah.

Ich ließ kurz meine Finger knacken, stand auf und rief zu ihr hinüber „Ich bin kurz telefonieren.“ Natürlich war dies nicht meine Absicht, aber was sie nicht weiß macht sie nicht heiß, oder?

Ein kurzes Nicken bekam ich als Antwort zurück bevor sie sich in einer der Umkleidekabinen stürzte um nun einen perfekten Pushup BH anzuprobieren. Ich seufzte und schritt aus dem Geschäft.

Als sich die automatischen Türen für mich öffneten, sah ich sofort dass die Sonne nicht mehr da war. Es war zwar dunkel draußen aber die Lichter der Geschäfte, welche wie an einer Schnur aufgefädelt waren, beleuchteten die Straße vor mir. Es fröstelte mich leicht aber das war mir egal. Um mich herum fielen kleine zarte Schneeflocken zu Boden. Und plötzlich war ich wie in einer Blase. Alles war ruhig. Das Mondlicht schien auf mich herab. Ich atmete die kühle Luft tief ein, um diesen Moment genießen zu können. Und ganz weit hinten, in meinem Kopf, begann eine Melodie zu spielen. Anmutig schlängelte sie sich um mein Gehirn bis in meine Nerven. Ich saugte sie in mich auf.

Erst war sie eine gleichmäßige Melodie, ein kleines Lied. Sie drängte mich. Sie wollte dass ich zu laufen beginne. Weit weg. Einfach nur um frei zu sein. Also lief ich los. Ich lief und lief. Häuser und Straßen zogen an mir vorbei. Aber ich hörte nicht auf zu laufen. Und während dem Laufen verlor ich meine Winterjacke. Als nächstes meine Weste. Und dann war ich fertig mit laufen. Ich zitterte vor Kälte. Meine Lungen brannten. Mein Atem flog in kleinen Rauchschwaden davon.

Ich machte vorsichtig einen Schritt nach vorne und stieß mit meinem Fuß gegen den Bordstein. Verwirrt blickte ich auf und konnte einen bedrohlichen Wald in der Dunkelheit erkennen. Und wieder begann die Musik in meinem Kopf, lauter und schneller zu spielen. Meine Furcht war wie weggeblasen. Ich machte einen Schritt nach dem anderen, obwohl sich mein Körper weigerte. Jeder meiner Muskeln tat weh. Mein Kopf schmerzte. Ich ging tiefer und tiefer in den Wald.

Doch irgendwann blieb ich stehen. Vor mir erstreckte sich eine große, von Schnee bedeckte Wiese. Und in der Mitte dieser  toten, eingefrorenen Wiese, da stand eine Rose. Ihr Rot strahlte unglaublich stark hervor, zwischen all dem schwarzweißen Gemisch.

Ich ging langsam auf diese Rose zu. Doch ich blieb im Schnee stecken. Ich sah verwundert auf meine Winterstiefel und schlüpfte aus ihnen heraus. Mir war nicht mehr kalt. Mir war warm. Wohlig warm. Als würde ich vor einem Kamin sitzen.

Also ging ich nun Barfuß weiter auf diese Rose zu. All meine Gedanken waren weg. Ich dachte nur noch daran, mein Ziel zu erreichen.

Und endlich war es so weit. Ich stand vor dieser Rose. Ihre Schönheit zog mich magisch an. Ihre Farben ließen mir einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. Ich wollte nach ihr greifen, mich von ihrer Existenz überzeugen und sie mit meinen Fingern berühren. Aber meine Finger sahen nicht mehr aus wie Finger, sie waren Blau und Lila. Sie wirkten in dieser Kälte, als wären sie selbst schon aus Eis. Ich starrte sie geschockt an und wie eine Welle schlug alles wieder auf mich ein. Meine Blase in der ich war, zerplatzte. Es war eiskalt und mein Körper kam nicht mehr mit der Kälte klar. Ich war so stark unterkühlt  dass mein Gehirn nicht darauf reagierte. Ich wollte um Hilfe rufen. Irgendjemand musste mir helfen, irgendjemand, egal wer. Aber anstatt eines Tones aus meinem Mund, kam nur ein krächzen. Tränen bildeten sich in meinen Augen und liefen an meinen kalten Wangen herab, um Augenblicklich zu gefrieren.

Aus Angst und Panik riss ich die Rose aus dem Boden und rannte mit ihr durch den Wald. Ich wollte zurück! Ich wollte nachhause. Ich wusste weder wo ich war noch wo ich hinrannte. Aber ich wusste, dass dies mein Ende war, als ich plötzlich unter mir ein Knacksen wahrnahm. Mein Blick wanderte hinab zu meinen Füßen, welche ebenfalls erfroren waren. Ich sah unter mir eine Oberfläche, ähnlich eines Spiegels und als ich mein Gesicht sah, war ich geschockt. Meine Haare waren aus Eis. Meine Augen vollkommen blutunterlaufen. Und mein ganzer Körper Blau und vereist. Um mich besser orientieren zu können, drehte ich mich einmal im Kreis herum. Ich stand auf einem schmalen Fluss,  links von mir stand ein kleiner Baum, welcher seine Äste zu mir streckte, als ob er mir helfen wolle. Ich griff nach ihnen aber…da war es schon zu spät. Ich fiel. In die eiserne Dunkelheit. Meine Lungen füllten sich mit Wasser und der Tod legte seine Arme zärtlich um mich. Das Wasser um mich nahm mich auf als wäre ich ein alter Freund.  Ich sank weiter und weiter, bis an den Grund des Flusses. Mein Rücken berührte den Boden und etwas Schlamm wirbelte auf. Es war viel zu dunkel um noch etwas zu erkennen.

Mein Körper war ausgeschalten aber mein Gehirn arbeitete noch. Ich war schon kurz davor, meine Augen zu schließen um aufzugeben, als ich etwas sah. Es war rotes Licht, welches sich langsam durch das Wasser zu mir näherkam. Es leuchtete immer stärker und stärker, auch ließ es die Dunkelheit um mich herum warm und hell werden. Langsam spürte ich meinen Körper wieder. Aber ich war nicht mehr stark genug um mich zu retten. Nach kurzer Zeit schon, war der Fluss lichtdurchflutet. Ich konnte um mich Fische sehen, welche glücklich umher schwammen. Ich dachte ich würde nun in Ruhe sterben doch…

… ich erblickte mitten im Wasser, über mir die Silhouette einer Rose, welche langsam zu mir hinab kam.