„Die gläserne Ballerina“

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Ricardo, 16 Jahre, Krummnussbaum, Österreich

* * * * *

Es war einmal ein einsamer Junge auf der Suche nach seiner großen Liebe. Er suchte und suchte, doch war sie nicht zu finden. Fast jedes Mädchen fragte er: „Ja bist du denn meine große Liebe?“ Doch jede wies ihn ab und antwortete: „Ich und deine große Liebe? Pah, es gibt Tausende, die schöner, reicher und größer sind als du!“ Natürlich enttäuschte es den Jungen, er wollte doch nur eine Partnerin fürs Leben. Ja, eine Partnerin, die ihm sein ganzes Leben lang zur Seite steht, die für ihn kocht, mit ihm schläft, mit ihm lacht. Jeden Tag dachte er sich, dass er seine große Liebe nie finden würde, nicht einmal ein kleiner Hoffnungsschimmer funkelte in seinem Herzen. Es war leer, voller Tränen, bis an den Tag, wo seine große Liebe ihm das Herz mit Liebe, Freude, Vertrauen und vielem mehr füllen würde.

Eines Abends spazierte der Knabe durch die düsteren Gassen seiner Stadt, als er plötzlich ein „Ding“ sah. Das „Ding“ war sehr klein, es leuchtete, funkelte und schwebte in der Luft, wie eine Fee. Möglicherweise war es sogar eine, doch das wird der Junge nie erfahren. Es flatterte hin und her, hinauf und hinunter, als ob es aufgeregt wäre. Plötzlich flog es langsam immer tiefer in eine Gasse. Er wusste genau, was für Halunken und Räuber sich dort herumtrieben. Dennoch hatte er so ein Gefühl, als ob er dem „Ding“ folgen musste. Und er tat es auch, er folgte ihm, tiefer und tiefer, ja sogar in die dunkelsten Winkel, wo er selber noch nie gewesen war. Es war kalt und sehr ruhig, das beängstigte den Jungen. Zittrig und voller Zweifel rannte er ihm nach. Bei jeder Kurve hatte er Angst, einem Verbrecher zu begegnen. Er hatte auch davor Angst, nie wieder zurück zu finden. Der verängstigte Junge fragte mehrmals: „Wo gehen wir hin? Was tun wir hier, in solch düsteren Gassen?“, doch er bekam nur ein heiteres, liebevolles Kichern zurück.

Er begann etwas zu spüren, etwas Gutes, Fröhliches, Liebreizendes… Es wurde wärmer. Ja, das war es, die Wärme. Er konnte sie spüren, wie sie immer näher kam, bis sie sein Herz berührte. Ein Licht kam zum Vorschein und wurde immer größer und größer, bis es die ganze Gasse mit Licht erfüllte. „Ich muss wohl träumen…“, dachte er, als er ein Mädchen vor ihm sah. Es sah aus wie eine Tänzerin, eine Ballerina. Sie stand da, sah ihn liebevoll an. Sie hatte eine zierliche Figur, schmale Schultern und Hüften, lange Beine und Haar, das wie Kupfer schimmerte. Ihre strahlend grünen Augen und ihre blutroten Lippen machten ihr Gesicht besonders, ebenso wie ihre rosigen Wangen und ihre blasse Haut. In einem rosa Tutu sah er sie auf einem runden Holzbalken stehen. Sie war wunderschön und glich einem Engel. Nun wusste er, woher das Licht und die Wärme kamen. Sie kamen aus ihrem Herzen. Es war so sehr mit Liebe gefüllt, dass es beinah glühte. „Ist sie es wirklich? Ja kann es denn sein, meine Liebe?“ Er trat näher an sie heran, er wollte sie fühlen, ihre Wärme, ihre Nähe. Vorsichtig streckte er die Hand nach ihr aus. Als es dann endlich soweit kam und ein Finger ihre Hand vorsichtig berührte, erschrak er. Sie war kalt. Eisig kalt und starr! Sie war aus Glas, steinhart – und doch konnte er ihre Herzenswärme spüren. Es loderte wie Feuer in ihr, gerade deshalb war die Ballerina sehr empfindlich. Im selben Augenblick, als er sie berührt hatte, entstand ein zarter Riss an ihrer Hand. Erstaunt sah er wie sich der Riss ausdehnte, immer größer wurde und sich letztendlich über den ganzen Körper ausbreitete. Angst erfüllte ihn! Obwohl er sie erst seit kurzem entdeckt hatte, wusste er, dass sie etwas für ihn empfindet. Und sie zeigte es auch, durch ihre Worte, die sie sprach: „So lange habe ich auf jemanden gewartet, und nun ist dieser jemand hier, um meine Liebe zu erwidern.“ Er traute seinen Ohren nicht, sie konnte sprechen. Worte, die sich wie Musik für ihn anhörten, die er nie vergessen würde. „Bitte verlass mich nicht…“, bat er sie. „Ich werde dich nie verlassen.“, flüsterte sie, bevor ihr ganzer Körper in Stücke brach und im Erdboden versankt. Fassungslos stand er daneben, denn er konnte es nicht verhindern.

Zurück blieb nur ihr Herz, es war aus Gold und leuchtete. Zu Tode bedrückt ging er in die Knie, hatte Angst, dass es auch zerbricht, wenn er es anfasst. Vorsichtig hob er es hoch. Es zerbrach nicht, im Gegenteil, es schien so, als ob nichts und niemand es zerstören konnte. Es war schwer und glutheiß, obwohl es ihn nicht schmerzte; möglicherweise war das der Grund für ihre Zerbrechlichkeit gewesen. Alles um ihn fing an sich zu drehen, er konnte sein Gleichgewicht nicht mehr halten und wurde bewusstlos.

„Geht es ihm gut? Wird er wieder gesund?“ Ganz schläfrig und benommen wachte der Junge in seinem Bett auf. Als er die Augen öffnete, sah er einen Arzt und seinen Vater, der ein besorgtes Gesicht machte. „M-Mir geht’s gut, Vater. Mach dir keine Sorgen.“, versuchte er ihn zu beruhigen. Der Vater war überglücklich und sagte: „Du warst sehr betrunken letzte Nacht, man hat dich frühen Morgens in einer dunklen Gasse gefunden. Sei froh, dass dich keine Kriminellen entdeckt haben.“ „Ich war betrunken? Habe ich mir das etwa nur eingebildet? Ich muss geträumt haben.“, dachte sich der Junge. Sein Vater meinte, man habe etwas in seiner Hand gefunden, als man ihn entdeckte. Ein goldenes Herz, es war warm und schimmerte leicht. Er gab es dem Jungen und meinte: „Ich habe es für dich aufbewahrt, hier, nimm es.“ Dann verließ er zusammen mit dem Doktor das Zimmer. Das Herz begann zu leuchten und er hörte eine Stimme, die zu ihm sprach: „Ich werde immer bei dir sein.“ Mit gebrochenem Herzen, Tränen, die ihm die Wangen herunterliefen und einem Lächeln im Gesicht schloss er die Augen und fiel in einen ewigen Schlaf, so auch das Herz, das langsam in seinen Händen verblasste.