„Der Tag der Herrscherin“

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Anna und Tanya, 14 Jahre, Wien

* * * * *

Es war einmal ein kleiner Troll namens Lilo, der ganz alleine in einer kleinen Mooshütte wohnte, in einem verzauberten Wald. Jeden Tag aufs Neue holte er Feuerholz, kochte sein Essen und verbrachte sein Leben voller Freude. Einen Freund hatte er auch: Marcus, den Sumpftroll.

Einmal im Jahr mussten alle Fabelwesen durch den großen Wald wandern, um zum großen Tag der Anbetung zu erscheinen. Dieser Tag war genauer gesagt eine Feier, um die „Herrscherin“, wie sie sich nannte, zu feiern. Sie war eine Sirene, die mit ihrem zwei Meter langen, blau schimmernden Fischschwanz und ihren Kiemen durch einen großen See schwamm und mit ihren weiß-blauen Augen und ihrer Schönheit alle verzauberte. Aber hinter der Fassade, versteckte sich eine böse und hinterhältige Gestalt. Es war für die Waldbewohner ein Muss zu dieser Feier zu kommen, denn alle, die nicht erschienen, wurden von hässlichen Kreaturen aufgespürt, gefangengenommen und an einen geheimen Ort gebracht, von dem sie nie wieder fliehen konnten. Deshalb war es dem Troll sehr wichtig, rechtzeitig von seiner Hütte wegzugehen. Er packte alles Notwendige in einen kleinen Beutel und machte sich auf den Weg zur großen Feier.

Marcus, Lilos Freund, verschlief die Anbetung und wurde erst Stunden später von lautem Klopfen geweckt. Ein Cerberus, ein großer Hund mit drei Köpfen, starrte ihn mit bösem Blick an und packte ihn mit seinen großen Pranken, als er die Türe verschlafen öffnete. Marcus schrie und versuchte dem großen Wesen zu erklären, dass er nicht beabsichtigt hatte, die Zeremonie zu versäumen. Doch der Cerberus ignorierte sein Flehen, hängte ihm schnell ein schwarzes Medaillon um den Hals und schleppte ihn mit sich durch den Wald.

Der kleine Troll Lilo kam nach der Feier zu seiner Hütte zurück, als er seine Hilfeschreie hörte. Er ließ seinen Holzschlüssel zurück in den Beutel fallen und folgte den Schreien, die immer näher kamen. Hinter einem Himmbeerbusch blieb er geduckt stehen. Als er vorsichtig hinter dem Strauch hervorlugte, bemerkte er mit Schrecken, dass es sein bester und auch einziger Freund war, der so entsetzlich schrie. Er beschloss ihnen zu folgen, um herauszufinden, wo der Cerberus seinen Freund und wahrscheinlich auch andere Gefangene hinbrachte und sie festhielt. Nach einem langen Marsch kamen sie in einen sehr dunklen Teil des Waldes. An Spinnennetzen ging es vorbei, bis der Cerberus plötzlich stoppte. Lilo versteckte sich hinter einem  Baum und beobachtete das Geschehen. Marcus war die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben, als ihn das Ungeheuer losließ und von ihm verlangte, voran zu gehen. „Wo bringst du mich hin? Was passiert nun mit mir? Ist das der Weg zum See der Herrscherin?“ – Das waren Fragen, die man aus den hilflosen Blicken ablesen konnte, die Marcus umherwarf. „Nun geh schon!“, sagte der Cerberos mit so lauter Stimme, dass Marcus und Lilo erschrocken zusammenzuckten.

Da vernahm Lilo eine zauberhafte Stimme aus der Ferne und Marcus schien wie hypnotisiert zu sein, denn er folgte der Stimme mit starrem Blick. Lilo konnte nicht verstehen, warum sein Freund auf einmal so zielstrebig durch den Wald eilte. Da leuchtete plötzlich Marcus Hals hell. Erstaunt fiel Lilos Blick auf eine Kette mit Medaillon um seinen Hals, die ihm der Cerberus Stunden zuvor umgehängt hatte. Seltsam, sie war ihm vorher gar nicht aufgefallen.

Während Lilo – den Blick immer noch neugierig auf die Kette gerichtet – Marcus leise folgte, kamen sie an einen sehr großen See, der durch sein leuchtendes Wasser von der Dunkelheit des Waldes ablenkte. Marcus blieb wie ferngesteuert an dem Punkt stehen, wo das Seewasser und der sandige Boden sich berührten. Wie aus dem Nichts erschien die Nixe aus den Tiefen des Sees. Sie sah so bezaubernd aus, so wunderschön, dass man sich nicht vorstellen konnte, sie habe nur einen bösen Gedanken in ihrem mit Schuppen besetzten Kopf. Marcus schaute sich verwirrt um, er hatte gar nicht mitbekommen, dass er von der Stimme des Wesens angezogen worden war. Er stand vor der Nixe, die ihn mit einem vernichtenden Blick betrachtete, bevor sie sagte: „Troll, du hast es gewagt, nicht zum wichtigsten Fest des Jahres zu erscheinen? Wie konntest du nur? Es geht schließlich um deine Herrscherin, du Narr!“ Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, verwandelte sich die schöne Nixe in eine furchtbare Gestalt. Sie war zwar eine Nixe geblieben, doch ihre funkelnden Schuppen wurden pechschwarz, ihre Augen blutrot und aus dem Mund, der vorher ein schönes Lächeln formte, wuchsen lange, spitze Zähne.

Lilo bekam so große Angst, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. „Gleich wirst du deine verdiente Strafe bekommen“, raunte die Nixe Marcus zu, „doch zuerst muss ich mich um ein anderes Wesen kümmern, das auch dachte, es brauche nicht zu erscheinen!“ Sie schwamm zu einer Moorhexe, die tränenüberflutet um Vergebung bettelte. Doch da schoss ein Blitz aus den Augen der Nixe. Es leuchtete kurz hell auf und die Moorhexe war zu Staub geworden.

Die hässliche Nixe drehte sich wieder zu Marcus und funkelte ihn böse an, doch Lilo konnte den Gedanken nicht ertragen, was nun mit seinem Freund passieren würde, und sprang hinter dem Baum hervor. Als die Nixe das sah, schoss sie einen Blitz nach den beiden, aber Lilo packte geistesgegenwärtig Marcus Medaillon und hielt es vor sie, sodass der Blitz reflektiert wurde und die Nixe selber traf.

Plötzlich veränderte sich alles: Die böse Nixe und ihre Diener lösten sich in Staub auf und alle gefangenen Fabelwesen kamen frei. Lilo und Marcus wurden überall als Helden gefeiert und ihre Freundschaft wurde dicker als je zuvor.