„Das Gefühl“

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Lea, 14 Jahre, aus Wien

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Es waren einmal …, so beginnen die meisten Märchen, doch ich erzähle euch heute mein Märchen, besser gesagt meine Geschichte. Ich bin Sophie, Sophie Amker, ein total normales Mädchen, welches im 21. Jahrhundert lebt. Damals wusste ich nicht was geschehen würde, doch es sollte wohl so kommen.

Ein Geschrei weckte mich auf, es war Mittwochmorgen 6:32 Uhr, das Gekreische kam von unten, wo meine Mutter sich gerade mit meinem Vater stritt. Es war nichts Neues für mich, insgeheim hatte ich schon lange die traurige Vermutung, dass meine Eltern sich trennen würden. Es klingt hart, wenn man es so sagt, doch das Geschrei, die Wut, der Hass, die Angst vor dem Unaufhaltbaren, all das ließ mich zu dem Entschluss kommen, dass es besser wäre, wenn sie sich trennen würden.

Abgesehen davon, würde es keinen Unterschied machen, ob sie nun getrennt, oder zusammen leben würden. Vielleicht würde ich sogar umziehen und in eine andere Schule kommen, Wunschdenken, ich weiß. Aber wenn man, so wie ich keine Freunde hat, ist es wirklich schwer, sich keine Traumwelt, manchmal ausdenken zu wollen. Es gibt nicht viele Menschen in meinem Leben mit denen ich gerne meine Gedanken teile, eigentlich gar keine. Außer ER, ich meine, unsere Gedanken zu teilen ist auch nur Wunschdenken, aber ER ist ein Lichtblick in meinem dunklen und aussichtslosen Leben.

Er ist ein Junge aus meiner Klasse, ziemlich schüchtern aber hängt immer mit den „Coolen“ ab. Ich weiß zwar nicht was er an denen findet, doch abgesehen davon ist er der tollste Mensch den ich kenne. „Kennen“, ist auch so eine Sache, ich habe bis jetzt noch nicht viel mit ihm geredet, aber ich weiß es einfach. Seine Art wie er lacht, total komisch und anders, wie er mit Menschen redet, wie er mich anlächelt, wie er immer noch einmal zurück sieht, wenn wir auseinander gehen, es ist ein Gefühl, dass ich nicht beschreiben kann.

Dieses Gefühl löst in mir Panik, Angst und Furcht aus, trotzdem ist es so schön zu fühlen, ihn zu spüren. Wie in einer Parallelwelt in der es, die ganzen Regeln und Gesetze nicht gibt, sondern nur dieses eine Gefühl. Es spricht für mich, die Worte werden wie aus dem nichts geformt und du kannst nichts, rein gar nichts, dagegen tun. Es spricht immer die Wahrheit, ob du willst oder nicht, du kannst es versuchen zu unterdrücken, doch es funktioniert nicht, so oft du es auch versuchst, glaub mir, ich habe es schon ZU oft versucht. Es nimmt dein ganzes Herz deinen Körper und deine Seele ein, trotzdem ist es so leicht wie eine Feder, die dich von der einen, auf die nächste Wolke fliegen lässt. So leicht wie eine Feder stärker als eine Armee. Dein Denken, dein Handeln wird davon beeinflusst, trotzdem ist es so schwer zuzulassen. Dieses Gefühl beschreiben zu wollen ist eine unlösbare Aufgabe, niemand wird es je verstehen, der es noch nicht gefühlt hat und doch wird so viel darüber gesprochen, diskutiert, debattiert, gestritten, gesungen und gedichtet, es ist so ein kurzes Wort: „Liebe“ und doch sagt es so viel aus.

An diesem regnerischen Morgen ging ich wie an jedem anderem auch, in die Schule, um meinem trostlosen Leben einen weiteren sinnlosen Tag hinzuzufügen. In der dritten Stunde hatten wir Geschichte, wo Prof. Tudelmann versuchte uns, einer Horde aus desinteressierten und handysüchtigen Jugendlichen, die Geschichte von Romeo und Julia näher zu bringen. Es schien als würde mich dieses Gefühl verfolgen. Doch aus purem Instinkt drehte ich meinen Kopf nach hinten und erhaschte einen kurzen Blick auf ihn. Sogleich hatte ich ein Lächeln im Gesicht und konnte mich nicht zurückhalten, so drehte ich mich erneut um, und tat so, als würde ich etwas aufheben. Als meine Augen eine Sekunde zu lange auf ihm verweilten, trafen sich unsere Blicke und er zwinkerte mir schüchtern zu. Das war das schönste was mir seit Monaten bis dahin passiert war.

In der nächsten Pause als ich bei meinem Spind stand, tauchten neben mir plötzlich „Die Coolen“ auf. Innerlich hüpfte ich vor Freude, bis ER aufsah, seinen Mund aufmachte, um die scheußlichsten Worte aus zu spucken: „Zwinker mir nie mehr zu, du Hure.“ Mit diesen Worten ließen sie mich stehen.

Die Tränen tropften an meinen Wangen hinunter, als ich zum Schultor hinausrannte. Ich holte mein Fahrrad und stieg auf, ich spürte, wie die Kälte von den kalten und nassen Metallstangen mich erstarren ließ. Der strömende Regen ließ alles um mich herum verstummen. Meine Augen waren so verweint, dass ich kaum noch die Straße vor mir sah. In diesem Moment bog ein Auto ein…, ich sah es nicht, das Auto mich nicht… Ich spürte nur noch einen kurzen Aufprall, hörte ein lautes Quietschen, dann nur noch den Regen und danach nichts, …einfach nichts.

Zwei Tage lag ich im Koma, und soll ich dir sagen wie es war? Es war schön, ich konnte nicht denken, nicht fühlen, und doch bekam ich alles auf irgendeine Weise mit. Das laute Piepsen wenn mein Puls zu schnell war und das summen von den Geräten neben mir. Eines Nachts wachte ich schließlich auf und das erste was ich fühlte, war eine Hand die meine hielt. Ich vermutete, dass es die meiner Mutter war und als ich meinen Kopf nicht drehen konnte, beließ ich es bei dieser Vermutung. Drei Stunden später erwachte ich erneut, doch diesmal konnte ich den Schmerz ertragen meinen Kopf zur Seite zu drehen. Neben mir saß ER, total verweint mit der Kleidung von vor zwei Tagen und hielt meine Hand.

ER heißt Lukas.