„Auf den ersten Blick“

Eingetragen bei: Wettbewerb: Alles Liebe oder was? | 0

Ensar , 13 Jahre, Wien, Österreich

* * * * *

Er saß in seinem Lieblingscafé, sein Laptop aufgeklappt, während er sich durch seine Prüfungsunterlagen kämpfte. „Wie soll ich das alles bloß schaffen?“, fragte er sich leisen Wortes und nippte an seinem heißen Kaffee, in der Hoffnung, dass ihm dieser eine Schluck neue Lebensgeister verleihen könnte. Sein Blick schweifte ab und traf das große Schaufenster. Draußen wurde es bereits dunkel, sodass sich die flackernden Lichter der Autos auf dem nassen Boden spiegelten. Der junge Mann beobachtete die dicken Regentropfen, die langsam das Glas hinuntertänzelten und die leuchtend bunten Regenschirme, die in den grauen, kalten Novembertag einen Hauch von Farbe hineinzauberten. Bei diesem Anblick empfand er ein frostiges Schaudern, das allmählich seinen Rücken hinunterwanderte. Er widmete sich im gleichen Moment seinem Heißgetränk zu, seufzte ein letztes Mal und versuchte pflichtschuldig weiterzulernen.

Plötzlich holte das schallende Klingeln der Eingangstür ihn ins Hier und Jetzt zurück und ließ all das zuvor Gelernte verblassen. Er konnte seinen Blick von der schönen Frau nicht abwenden, die gerade aus dem kühlen Gewusel des Herbstabends in den behaglichen Laden eintraf. Sie nahm die Kapuze von ihrem durchnässten Mantel ab, während sie gemütlichen Schrittes zur Theke wanderte. Sie war so weit weg und doch so nah, dass ihm ihre langen glanzvollen Haare und ihre rosigen Wangen auffielen. Ihm blieb ausreichend Zeit, ihr anmutiges Erscheinungsbild zu betrachten, solange sie die Menütafel oberhalb der Bar studierte. „Eine heiße Schokolade zum Mitnehmen, bitte!“, hallte durch den Raum und ihre warme Stimme ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. Sie knöpfte ihren Mantel wieder zu, griff nach dem Pappbecher und begab sich wieder auf den Weg zur Tür. Sie blieb ein letztes Mal stehen, um sich der Wärme des Raumes hinzugeben und ließ ihren Blick schweifen. Unversehens trafen sich ihre Blicke und sie ertappte ihn dabei, wie er ihr aufmerksam

Beachtung schenkte. Die Frau lächelte ihm schüchtern zu, nahm zögerlich die Klinke in die Hand und ließ die Tür hinter sich zufallen. Vom eisigen Wind, der sich durch den Spalt kämpfte, wurde der junge Mann unsanft aus dem zuvor unbeschreiblichen Geschehnis gerissen und konfrontierte ihn unmittelbar mit dem Versagen und dem Ärger, nicht auf sie zugegangen zu sein. Sein Unvermögen brachte ihn nahezu zur Verzweiflung, als ihn plötzlich ein Funke Mut erwischte und er sich aus seiner Starre losriss. Entschlossen sprang er auf, ließ alles stehen und liegen und eilte in die Kälte hinaus. In der Hoffnung jene schöne Frau zu erblicken, die nun mehr zählte, als alles andere, sah er sich rastlos um. Während er kurz davor war, jegliche Zuversicht auf eine erneute Begegnung zu verlieren, spürte er eine Berührung auf seiner Schulter. Er drehte sich um und da stand sie, jene Person die ihn um den Verstand brachte. Sie tauschten einen erleichterten Blick aus und gingen in das mit Gelächter durchflutete Café zurück. An diesem Abend öffnete er seine Unterlagen kein einziges Mal mehr.