„Von Eis und Gold“

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Lukas, 16 Jahre, aus Braunau am Inn, Österreich

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Einst, als Drachen noch unsterblich, manche Berge noch unbezwingbar waren und die Natur das Leben der Donnertaler bestimmte, waren die Tage noch lang, die Nächte kalt und die Arbeit schwer. Am Fuß eines sagenumwobenen Berges lebte ein alter, armer und dennoch sehr mitfühlender Holzfäller. Dieser wusste noch nicht, dass sich sein Leben bald von Grund auf verändern sollte.

Bei einer Ratssitzung brachte ein Bürger die Sage vom verborgenen Schatz ein. Die Menge diskutierte lautstark und befürwortete einen Vorschlag der Bergung. Nur einer, der alte Holzfäller, war dagegen. Er erzählte ihnen die schaurigen Geschichten über den Berg, die er schon als Kind gehört hatte. Doch er wurde nur als alter, krummer Greis abgestempelt. Nach einer Abstimmung mit Handzeichen waren die Planungen in vollem Gange. 14 Tage und 14 Nächte bauten die Männer die Schlitten, die Frauen kochten Proviant und die Kinder jagten Fische. Der alte Holzfäller hatte Angst um seine Mitbürger, nicht nur um ihr körperliches Wohl, vielmehr um die Atmosphäre im Dorf und die Zukunft der folgenden Generationen. Jeder war nur noch auf das Gold im Berg aus, alles andere wurde ausgeblendet, sowohl Mitgefühl als auch Nächstenliebe, nur noch kalter Ehrgeiz war zu spüren.

Am Morgen des 15. Tages startete das Dorf den Aufstieg. Die Männer bezwangen den Berg und gelangten schließlich auch zur Höhle des verborgenen Schatzes. Nachdem sie die große, schwere Tür aus uraltem Eis geöffnet hatten, war es ihnen klar: Die Sage entsprach der Wahrheit. Vor ihnen häufte sich Gold in Unmengen. Als sie alle in die Höhle gestürmt waren, fiel die Tür wie aus Geisteshand hinter ihnen zu und ließ sich nicht mehr öffnen. Mit aller Kraft stemmten sich die Männer gegen die Tür, aber sie rührte sich keinen Zentimeter. Weit entfernt im Tal hörte der alte Mann das Gebrüll seiner Mitbürger vom Berg herunter. Er machte sich auf den Weg zur Höhle, um seinen Mitmenschen Hilfe zu leisten. Doch das Tor schien, als ob es für immer geschlossen bleiben sollte. Er begann sich vorbeizugraben, zerschmetterte, was ihm in den Weg kam, dabei fiel auch das Tor aus der Wand und knallte zu Boden. Nachdem ihm das Unvorstellbare gelungen war, fehlte von Dank und Freude jede Spur. Sie fielen über das Gold her und vergaßen alles um sich herum.

Als der Erste sich ein Goldstück in die Tasche steckte, begann der Berg einzustürzen und ihnen wurde schlagartig klar, was aus ihnen geworden war. Während sie Richtung Ausgang liefen, brach das Gewölbe über dem Tor zusammen und stürzte auf sie zu. Mit übermenschlicher Kraft nahm der Holzfäller die massive Tür aus Eis und hielt sie schützend wie ein Schild über die Männer und sich selbst. Das eine Goldstück, das sie erbeutet hatten, wurde zu Eis und schmolz in der Tasche. Seither kannte man den  alten Holzfäller als den schillernden Retter von Donnertal. Die Donnertaler aber suchten fortan den Reichtum nicht mehr auf entlegenen Bergen oder in tiefen, unbegehbaren Höhlen, sondern bei sich selbst,  im Miteinander und im Verständnis füreinander.