„Für immer in Erinnerung“

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Carmen und Denise, 13 Jahre, Wien, Österreich

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Gedankenverloren rollte ich den Tiefkühlblätterteig auf der Arbeitsfläche in unserer Küche aus. Würden mein Mann und mein Sohn bald zu Hause sein? Sie waren an diesem Samstagnachmittag zusammen ins Schwimmbad gegangen, also konnte es länger dauern, immerhin liebte mein fünfjähriger Sohn das Wasser. Ich schaltete den Radio ein, um die seltsame Stille zu füllen, die sich in mir breit gemacht hatte. Es liefen gerade die Nachrichten, es war ein Autounfall auf der Linzer Straße passiert. Ein Auto sollte in einen LKW gekracht sein. Es gab zwei Verletzte. Die armen Angehörigen, dachte ich mir. So viel Unheil auf dieser Welt, und niemand war in der Lage, es zu stoppen. Plötzlich klingelte mein Handy. In der Annahme, es sei mein Mann, nahm ich ab, ohne hinzusehen. „Guten Tag, sind Sie Frau Novak?“, fragte eine fremde Stimme. „Ja, wieso? Wer sind Sie?“, erkundigte ich mich. „Ich bin Schwester Helena vom Wilhelminenspital. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass soeben Ihr Mann und Ihr Sohn mit schweren Verletzungen eingeliefert wurden.“ Von diesem Moment an hörte ich nicht mehr richtig zu. Panik packte mich. Ich wusste nicht genau, wie ich zum Krankenhaus gekommen war, aber jetzt war ich definitiv da. Ich stellte mein Auto quer über zwei Parkplätzen ab, dann stürmte ich ins Krankenhaus. Erneut verschwamm meine Erinnerung, ich wusste nur noch, dass mir ein Arzt mitteilte, mein Mann und mein Sohn haben es nicht geschafft. Irgendwann stand ich dann vor zwei toten Körpern, meine Sicht verschwommen vor Tränen, mein Herz brach in kleine Teile. Ich erinnerte mich daran, zu ihnen gegangen zu sein, ich hatte sie noch ein letztes Mal geküsst und geflüstert, dass ich sie liebte und sie für immer in meinem Herzen bleiben würden. Vor zwei Tagen war das Begräbnis meiner Familie gewesen. Selbst nach den zwei Wochen, die seit ihrem Tod vergangen waren, war ich noch so am Boden zerstört wie am ersten Tag. Es gab nur einen Lichtblick in meinem Leben: Vor einer Woche wurde mir ein Funke Hoffnung geschenkt: Ich war ein zweites Mal schwanger.

Vollkommen überanstrengt und erschöpft lag ich in dem Krankenhausbett. Ich war nicht in der Lage gewesen, zu schlafen, seit die Geburt vorbei war. Ich wusste, ich musste ihn in den Armen halten, bevor ich zur Ruhe kommen konnte. Irgendwann nahm ich ein leises Klopfen an der Tür wahr. Auf mein schwaches „Herein“ schwang sie auf, in mein Zimmer kam eine Krankenschwester mit einem kleinen Baby auf dem Arm herein. Mit den Worten „Es ist ein Junge“, übergab sie mir das Kind. Ich hatte mir viele Gedanken über den Namen meines zweiten Kindes gemacht, war aber zu keinem Schluss gekommen. Doch als ich ihn sah und ihn zum ersten Mal in die Arme nahm, war es sonnenklar: Ich wollte ihn Fynn nennen, nach seinem verstorbenen Bruder. Eins war mir klar, jeder Mensch war anders, und Fynn würde nie ein Ersatz für meinen ersten Sohn sein, aber ich würde ihn genauso bedingungslos lieben wie meinen ersten Sohn. Eine Welle von Emotionen überrollte mich, einerseits die Liebe zu meinem zweiten Sohn, andererseits die Trauer um meinen Mann und meinen ersten Sohn, sie sollten jetzt hier sein und ihren neuen Familienangehörigen im Leben begrüßen.

Mittlerweile waren sieben Jahre vergangen und ich brachte Fynn gerade zur Schule. Zum Abschied küsste ich ihn auf die Stirn und war unglaublich glücklich, ihn hier zu haben und mit ihm eine lebendige Erinnerung an meinen Mann. Mit einem schnellen „Tschüss, Mama!“, verließ Fynn das Haus. Er ging ins vierte Gymnasium und sah mich immer beschämt an, wenn ich ihm einen kleinen Kuss geben wollte. Außerdem bestand er darauf, selbst in die Schule zu fahren, letztes Jahr hatte er mir nämlich erklärt, es sei peinlich, wenn ich ihn immer in die Schule führte. Für einen kurzen Moment war ich überwältigt von der Geschwindigkeit, mit der die Zeit verging. Zwei Jahre später sagte er mir, er habe ein Mädchen namens Marlene zum Essen eingeladen. Auf meine Frage hin, ob sie seine Freundin sei, verneinte er mit leuchtend roten Wangen und meinte, sie sei seine beste Freundin. Eine Weile später lud er sie zu uns nach Hause ein. Ich wusste nicht genau, was es war oder ob sie selbst es wussten, aber die beiden hatten eine besondere Beziehung.

Ich bereitete gerade das Frühstück zu, als Fynn in die Küche getapst kam. Er sah regelrecht zerstört aus und ich wollte gar nicht wissen, wie viel er geschlafen hatte. Ich wusste, dass er nun erwachsen war, gestern hatte er seinen achtzehnten Geburtstag gefeiert, aber ich konnte meine immerwährende Besorgnis um ihn nicht einfach abstellen. „Ähm – Mama, ich muss dir was sagen“, meinte er mit vom Schlaf kratziger Stimme. Ich zog meine Augenbrauen hoch. „Na ja, ich – ich bin jetzt mit Marlene zusammen“, meinte er und verlagerte nervös sein Gewicht, als wäre es eine unangenehme Nachricht. Nur schwer konnte ich mich beherrschen, zu rufen „Ich wusste es, ich wusste es“, und umarmte ihn stattdessen. Fynn hatte noch nie eine Freundin gehabt und ein unbeschreibliches Gefühl der Freude überkam mich. Mein Sohn seufzte erleichtert auf, als hätte er befürchtet, ich könnte ihn auffressen.

Fast überkommen mich die Tränen, als ich von der ersten Reihe aus zusehe, wie Marlene zum Traualtar schreitet, in einem wunderschönen weißen Kleid. Fynn wartet dort auf sie, ein liebendes Lächeln auf seinen Lippen. Der Priester spricht seinen Segen, und als die beiden sich das Jawort geben, war es endgültig um mich geschehen. Tränen strömen über meine Wangen, Tränen des Glücks, der Freude. Und auch ein wenig Trauer, da mich diese Situation an meine eigene Hochzeit erinnert. Nie hatte ich es wieder geschafft, jemanden so zu lieben wie meinen verstorbenen Mann. Neben mir weint auch Marlenes Mutter und irgendwie schaffen wir es, uns gegenseitig zu umarmen und trotzdem das Geschehen vor uns zu beobachten. Fynn steckt Marlene ihren Ring an und ich flüstere: „Er sieht aus wie sein Vater.“