„Das Mädchen, das ohne Worte Worte besiegte“

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Johanna, 15 Jahre, aus Lingen (Ems)

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Es war einmal ein Mädchen, das war klug und gut. Immer versuchte es, selbstlos zu helfen und sah noch in den finstersten Bösewichten Liebenswertes. Eines Tages bekam seine Familie Besuch von einer Tante, die in Wirklichkeit eine selbstsüchtige böse Hexe war. Das Einzige, das in ihren Augen zählte, war Macht. Als sie nun das Mädchen kennenlernte, erfuhr sie seine Klugheit und Stärke, die Güte dagegen bemerkte sie nicht, denn Liebe für andere war ihr fremd. Das Kind wurde für die Hexe zu ihrer Hoffnung, denn diese war rachsüchtig gegenüber denen, die in der Vergangenheit ihre grausamen Vorhaben immer wieder durchkreuzt hatten. Sie schmiedete einen niederträchtigen Plan, in dem das Mädchen die Hauptrolle spielen sollte. Es sei, so dachte sich die Hexe, so klug, dass es die Macht, die sie ihr zu verleihen wusste, nutzen könne und werde ihr aus Dankbarkeit auch einige Gefallen ihre ehemaligen Widersacher betreffend erweisen. Mithilfe eines alten, mächtigen Zaubers verlieh sie der Stimme des Mädchens eine Wirkung, die verursachte, dass niemand ihr mehr widerstehen konnte. Sie wurde dadurch noch klangvoller, heller und sanfter, bekam eine besondere, unvergleichbare Ausdruckskraft. Nicht viel später musste die Alte dann jedoch fliehen, denn jemandem mit dunkler Magie zu so viel Einfluss zu verhelfen, war verboten. Dem Mädchen aber lauschte jeder verzückt, sobald es anfing zu sprechen. Anfänglich war es freilich begeistert davon, schon bald verflog diese Freude aber, als es bemerkte, was die wirklichen Ausmaße seiner neue Gabe waren. Alle, zu denen es einmal gesprochen hatte, waren ihm treu ergeben, lebten exakt nach seinen Worten, mit einem beunruhigend verklärten Blick. Bestürzt wollte das Kind dem Schrecken ein Ende setzen, doch wusste es keinen anderen Weg, als von einem Tag auf den anderen hartnäckig zu schweigen, so hartnäckig, dass es nach einiger Zeit das „Kind ohne Stimme“ getauft wurde. Ein paar Jahre später, als das Mädchen schon zu einer jungen Frau herangewachsen war, begegnete ihr ein Jüngling, der ihr Herz im Sturm eroberte. Er hatte einfach alles, was sie sich schon immer gewünscht hatte, brachte sie zum Lachen, liebte sie aber ernsthaft, wusste immer, wann eine Frage unangebracht war und störte sich auch nicht an ihrer fehlenden Stimme. Nie wurde ihr langweilig mit ihm. Ohne und mit Worten erzählten sie sich Geschichten von Abenteuern, fernen Ländern und erfolgreichen Kämpfen gegen die gefährlichsten Kreaturen. Doch immer, wenn er von der glorreichen Vernichtung der Ungeheuer berichten wollte, schüttelte sie lächelnd den Kopf und legte ihren Finger an seinen Mund. Dann musste er auch lächeln, weil er verstand, was sie sagen wollte: dass Liebe für hasserfüllte Wesen die schlimmste Strafe war. Leider legte sich schon bald ein Schatten über das junge Glück, denn die Tante, die der jungen Dame vor langer Zeit ihre Stimme verliehen hatte, kam zurück und machte sich sogleich auf die Suche nach ihr, um ihre Ziele doch noch zu verwirklichen. Sie wurde sehr zornig, als sie sah, dass das Mädchen, in das sie einst ihr Vertrauen gesetzt hatte, keine Anstalten machte, seine Gabe zu gebrauchen, hatte sie ihm doch schließlich etwas solch Besonderes vermacht. Noch am selben Tag suchte sie einen starken Zauberspruch, der die Stimme des Mädchens unter ihre Gewalt zu bringen vermochte. Unruhig wartete sie auf den nächsten Tag. Schon in der Dämmerung bereitete sie alles vor und suchte sich ein Versteck, von dem aus sie alles gut überblicken konnte. Sie sah, wie das Paar aufeinander zulief und sich küsste. Da musste sie sich die Hände vor die Augen halten, denn ihre Seele war so schwarz, dass sie den Anblick von Glück nicht ertragen konnte. Sie feixte, da in ihrem Herzen ein böser Plan gereift war. Zuallererst würde das Mädchen vor dem Jungen sprechen, um ihn ihr für immer untertan zu machen. Das würde dieses dumme, gefühlsduselige Ding nicht verkraften, soviel war der Hexe klar. Fest fixierte sie die junge Frau, als sie die verheerenden Worte in einer nur Hexen geläufigen zischenden und sehr fremden Sprache murmelte. Die Wirkung trat sofort ein. Mit größtem Erstaunen bemerkte die Verliebte, wie ihr Mund sich ohne ihr Zutun öffnete und die Zunge all die vertrauten Bewegungen ausführte, die sie jahrelang vermieden hatte. Doch schon einen Moment später klärte sich ihr Blick, sie sah, wer vor ihr stand, realisierte, was unweigerlich passieren würde, sofern sie allein es nicht verhinderte. Fieberhaft suchte sie nach einem Plan, kniff zur besseren Konzentration fest die Augen zu, ihr Verstand jedoch ertrank in der Panik, ihren Liebsten zu verlieren, bis auf einmal eine Welle der Wut in ihr aufkam, dazu Trotz und der Widerwille, sich einfach geschlagen zu geben. An diesen Emotionen hielt sie sich fest, als die Worte schließlich doch von der schadenfrohen Alten aus ihr gepresst wurden und unwirklich laut in der Luft lagen. Plötzlich drang ein schrilles Geschrei an ihre Ohren und sie öffnete verwundert die Augen. Die junge Frau erschrak fürchterlich, als sie sah, dass ihr Geliebter nicht mehr da war. Voll Pein lief sie nach Hause, geplagt von Ungewissheit und schlechtem Gewissen. Ein Jahr lang wartete sie ungeduldig auf ein Lebenszeichen von ihm und stieg jeden Abend mit vor Kummer und Furcht schwerem Herzen ins Bett. Eines Morgens aber wurde sie nicht von der Sonne geweckt, die auch stets die Tränen auf ihrem Gesicht trocknete, sondern von Kieselsteinen, die gegen ihr Fenster schlugen. Überrascht blickte sie hinaus, und wie groß war die Freude, als sie ihren Liebsten dort unten stehen sah. Nun klärte sich, was alles geschehen war. Der innere Widerstand des Mädchens war so stark gewesen, dass dieser den Jüngling 100 Meilen weit nach Süden befördert hatte. Darüber war die Hexe so erzürnt gewesen, dass sie ihre Hexenkraft verlor und all ihre je ausgeführten Zauber aufgehoben wurden. Ohne diese Bedrohung aber lebten die beiden Verliebten glücklich bis an ihr Ende.