„Bevor der Mond verschwindet“

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Hannah, 13 Jahre, Oberschützen, Österreich

* * * * *

Vor langer Zeit lebte in einem Wäldchen, nicht weit entfernt von einem kleinen Dorf, ein Mädchen. Das Kind hatte keinen, der sich um es kümmerte und lebte allein auf einer Lichtung im Wald. Im Dorf redete man nicht selten über die Fee, wie das seltsame Mädchen wegen seiner Schönheit oft genannt wurde. Die Leute glaubten, dass das Kind magische Kräfte besäße, die es ihm ermöglichten, jede erdenkliche Gestalt anzunehmen und Menschen sowie Tiere ohne jegliche Hilfsmittel zu heilen. Im Dorf hegte insgeheim jeder den Wunsch, die Fee kennen zu lernen, doch keiner traute sich, zu ihr zu gehen.

Zur selben Zeit lebte in diesem Dorf ein Junge namens Til. Er war der siebente Sohn einer reichen Familie. Eines kalten Herbstmorgens begab sich der Vater auf eine lange Geschäftsreise, und die Mutter blieb mit ihren sieben Kindern zu Hause zurück. Die Wochen vergingen und es wurde immer kälter und stürmischer. Man sah aufgrund des Nebels kaum mehr die eigene Hand vor Augen. Keiner ging freiwillig nach draußen, wo der Tod und die Krankheit lauerten, bis eines Tages die Mutter des Jungen krank wurde. Verwandte und Nachbarn waren besorgt und boten ihre Hilfe an, doch um an die richtige Medizin zu kommen, hätte man sich auf eine weite Reise begeben müssen, was bei dem Wetter einfach unmöglich war. Die Tage vergingen und der armen Frau ging es immer schlechter. Keiner glaubte mehr an eine Verbesserung der Situation, bis Til eines Tages die rettende Idee hatte. Er würde in den Wald gehen, die Fee aufsuchen und sie um die heilenden Kräuter bitten, egal welchen Preis er dafür zahlen musste. Als er seiner Familie von seiner Idee erzählte, war diese entsetzt. Es erschien beinahe unmöglich, durch diesen Sturm auch nur zum Nachbarn zu laufen, wie sollte der Junge bloß den ganzen Weg in den Wald schaffen? Obwohl Til seine Mutter und seine Brüder nicht überzeugen hatte können, wusste er, dass es einen Versuch wert war. So beschloss das Kind, sich trotz des Schneegestöbers noch am selben Abend um Mitternacht auf den Weg zur Fee zu machen, um sie um Hilfe zu bitten. So schlich der Knabe, eingewickelt in eine dicke Winterjacke, im Mondschein aus dem Dorf in den kleinen Wald hinein. Er musste gar nicht lange suchen, denn als er das Wäldchen erreicht hatte, vernahm er bereits die liebliche Stimme der Fee – und wurde magisch von ihr angezogen. Bald schon stand sie vor ihm und sie war ohne Frage das schönste Wesen, das er jemals gesehen hatte. Ihre glatte, bleiche Haut schien im Mondschein zu glitzern, ihre Augen sahen ihn sanft und geduldig an. Doch was Til am allermeisten erstaunte, war die Tatsache, dass auf der Lichtung nicht das kleinste bisschen Schnee zu sehen war. „Ich weiß, weshalb du gekommen bist“, setzte das zarte Mädchen vorsichtig an. Der Junge starrte sie fassungslos an. „Manches lässt sich einfach erahnen, weißt du?“, fuhr die Fee fort und reichte ihm ein Bündel mit Kräutern. Der Junge war wie gelähmt. Er wusste zwar, dass es für ihn nun Zeit wäre, aufzubrechen, doch er konnte seinen Blick einfach nicht von der schönen Gestalt des Mädchens abwenden. „Ich muss dich wiedersehen“, flüsterte der Junge eindringlich. „Du wirst mich wiedersehen, noch bevor der Mond verschwindet“, gab die Fee zurück bevor sie sich umdrehte und sich in Luft aufzulösen schien. Fassungslos und verwirrt starrte der Knabe auf die Stelle, von der das Mädchen gerade eben verschwunden war. Erst nach einer Weile drehte er sich um und lief rasch nach Hause.

Dort angekommen schlich er sofort in das Zimmer seiner Mutter. Erschrocken stellte er fest, dass sich ihr Zustand bedenklich verschlechtert hatte. Er zögerte nicht lange und verabreichte seiner Mutter eilig das Medikament, bevor er sich selbst in sein Bett legte, wo er sofort einschlief.

Als er die Augen öffnete, fand er sich auf der schönen Lichtung wieder. Gleich entdeckte er die Fee, welche ihn erwartungsvoll anschaute. „Ich hab dir ja gesagt, dass wir uns wiedersehen, bevor der Mond verschwindet. – Und hier bin ich!“, meinte das Mädchen vergnügt.

„Wer bist du? Warum kannst du Menschen heilen? – Und warum sind wir hier?“, wollte der Junge wissen. “Ich kann nicht heilen, ich zaubere – und wir sind hier, weil ich es dir doch gesagt habe!”, antwortete das zarte Wesen. Nun war der Knabe so verwirrt, dass die Fee loslachen musste. Und noch während sie lachte, beugte sich der Junge vor und küsste sie einfach auf den Mund. Als sich die beiden voneinander lösten, schmunzelte das Mädchen. ”Das habe ich allerdings nicht kommen sehen!“, meinte sie und küsste ihn abermals.

Als der Junge die Augen wieder öffnete, befand er sich zu seinem Bedauern jedoch wieder in seinem Bett und draußen stürmte es noch heftiger. Leise zog sich der Junge abermals an und schlüpfte aus dem Haus. Diesmal irrte er lange im Schneesturm umher, bis er das kleine Wäldchen und die Lichtung fand. Wie zuvor war es dort warm und gemütlich, doch von der Fee fehlte jede Spur.

“Ich habe es nicht übers Herz gebracht, zu gehen, ohne mich von dir zu verabschieden!”, ließ ihn eine ihm vertraute Stimme herumfahren. – Und da stand die Fee, so schön wie eh und je, doch diesmal wirkte sie sehr traurig. Der Junge war irritiert und sofort umarmte er sie tröstend. “Was ist denn los?”, wollte Til wissen. “Ich muss weiter…”, schluchzte das Mädchen und schmiegte sich an ihn. “Ich habe deiner Mutter geholfen und nun muss ich hier fort, sonst verliere ich meine magischen Kräfte. Es ist mein Schicksal, Menschen durch meinen Zauber zu helfen und dann weiterzuziehen. Und ich darf niemals zurückzukommen, weil ich sonst meine Kräfte verlieren würde. Ich muss hier fort, aber ich will nicht…..wegen dir!”, weinte das verzweifelte Mädchen.

Langsam begriff der Junge, dass die Liebe des Mädchens zur Zauberei größer war als die Liebe zu ihm. ”Also diesmal nicht, bevor der Mond untergeht – richtig?” Die Fee schüttelte stumm den Kopf und küsste den Jungen ein allerletztes Mal bevor sie für immer aus seinem Leben verschwand.