Esma, 17 Jahre, aus Wien
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Wir treffen uns in einer Tragödie. Du bist der Typ mit dem Julia etwas hat und ich bin Julia.
Du kannst mich auch Juliet nennen. Alles, was zählt, ist, dass ich mich später nicht vom
Balkon stürze. Eigentlich will ich, dass die Tragödie in uns endet, die Tragödie zwischen uns.
Dann treffen wir uns heimlich in der Nacht bei 11°C und mir ist kalt. Dir auch, aber du sagst
es nicht. In Wahrheit sagst du nichts. Stille. Ich zittere und du bietest mir deine Jacke an,
legst sie mir um die Schultern. Ein Kuss auf die Stirn, dann schauen wir uns tief in die Augen.
Du lächelst kurz, deine Hand wandert in mein Gesicht, du streichst mir über die Wange.
„Diese Augen…“, flüsterst du. So, als wüsste ich, was du meinst. Ich muss aber raten. Ich
muss immer raten. Ich weiß nie was du meinst. Diese Augen was? Hättest du wenigstens ein
Adjektiv verwendet. Schön, wunderschön, braun, irgendwas. Du weißt doch, ich
interpretiere immer viel zu viel hinein. Außerdem bist du nicht der Erste, der das sagt. „Diese
Augen“. Zur Abwechslung hättest du „deine Augen“ sagen können. Aber ich bin auch
sprachlos. Lächle kurz verlegen, der Blick schweift nach unten, auf den Boden, aber der
Boden ist nicht zu sehen, weil deine Knie im Weg sind. Also starre ich auf deine Knie, ganz
verlegen. „Du“, flüstere ich, hauptsächlich, weil ich deinen Namen vergessen habe und ich
dich darum bitten will, dass du deine Knie ein wenig zur Seite nimmst, ich will ganz verlegen
auf den Boden starren. Alles, was von dir kommt, ist ein fragendes Ja. Meine innere
Autokorrektur sagt tragendes, stimmt auch irgendwie. Das Ja trägt unsere Tragödie, ich
deine Jacke. Ich will nicht wissen, wie sie endet-obwohl-doch, doch, ich will es wissen. Deine
Augen werden ganz groß. Vielleicht, damit du meine besser siehst und endlich die passenden
Worte findest. Damit du mehr sagen kannst. Mehr als nur „diese Augen“. Vielleicht fragst du
dich aber auch, was ich sagen will, vielleicht sogar gestehen. Eine Beichte? Etwa ein
Liebesgeständnis? Jedes meiner Liebesgeständnisse fängt mit einem „du“ an. Allerdings
weißt du das nicht. Du weißt auch nicht, dass deine Knie stören. Sie stören mich. Nicht, weil
sie mich immer stören und auch nicht, weil es deine Knie sind. Ich muss nur auf deine Knie
starren, weil sie da sind. Wären sie nicht da, könnte ich auf den Boden starren. Du mit
deinen Knien. Mir ist wieder kalt. „Diese Knie…“, flüstere ich. Du zeigst auf den Mond.
„Magisch.“ Magisch? Der Mond oder deine Knie? Wann hörst du mich endlich? Ich frage
mich, ob der Mond deine Knie anstarrt. Legst du dem Mondlicht auch deine Jacke um die
Schultern? Dem Mond ist bestimmt kalt. „Mir ist kalt, wenn ich dich berühre, Julia.“ Seit
Mitternacht warte ich auf eine Einladung in dein Herz. Ich habe alles schon geplant. Ich
würde Liebe mitbringen, als Gastgeschenk. Aber alles, was ich für dich bin, ist kalt. „Willst du
meine Tragödie sein, Julia?“, fragst du, aber das einzige, das tragisch ist, ist deine Jacke um
meine kalten Schultern.