„Die Verwandlung“

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Lilly, 16 Jahre, aus Dortmund

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Es war einmal ein junges Mädchen von einer unerfahrenen Schönheit, die jeden um es herum im Augenblick des Begegnens mit ihm erblassen ließ; denn dieses Mädchen war wie der von Natur gegebene Mittelpunkt eines jeden Raumes mit Augen gleich ungeschliffenen Diamanten, die einen jeden Betrachter in ihren Bann zogen. Und eines schönen Frühlingstages, umgeben vom lieblichen Zwitschern der Vögel und dem Sonnenlicht, dass die Umgebung in einen goldenen Glanz hüllte, stand dieses Mädchen in ihrem Ankleidezimmer, allein. Die Vorbereitungen für den kommenden Ball; das Ereignis des Jahres, das sogar der Prinz mit dem Anliegen, eine Gemahlin zu erwählen, besuchen würde; liefen bereits in vollem Gange. Und das junge Mädchen, allein in ihrem Zimmer, war eine all derer, die sich später um den Prinz sammeln würden, sich überbietend in ihren Höflichkeiten, das Leben als zukünftige Prinzessin bereits im Geiste ausgemalt. Doch etwas an ihm schien dennoch nicht in die Szenerie zu gehören: War es des Mädchens zweifelnder Blick, als es sein Gesicht zögerlich in Richtung des Spiegels erhob? Seine selbst in ihrer Beugung rätselhaft anmutige Haltung, die sich zu sehr von der reservierten Steifheit der restlichen Mädchen unterschied? Es war die Träne, die sich langsam den Weg hinunter über die Wangen des Mädchens bahnte und den Anschein machte, niemals enden zu wollen. Sie stand im Kontrast zu dem schön bestickten, tüllbehängten Kleid, der großen, kostbaren Perlenkette und dem lieblich aufgesteckten Haar; und doch zeigte sie in diesem Moment das Innerste, dass das Mädchen dem stillen Betrachter zu zeigen bereit war. Seine Gedanken jedoch, sie waren es, die den Rest verrieten. Denn vor dem anstehenden Abenteuer seines Lebens empfand das junge Kind nichts als Furcht. In seinem Alter war es nicht bereit zu einer Heirat, hing es doch mit allem was es hatte an seinem Elternhaus und seiner kindlichen, verspielten Unschuld. Und es fragte sich, nicht verstehend, was es verloren hatte, einsam in diesem Zimmer. Ungewiss, wie es jemals mit der Erfahrenheit, den goldenen Haaren, dem festen Gang, der wohlgeformten Figur all der älteren Mädchen, die es auf dem Ball erwarteten, mithalten sollte. Das Mädchen fragte sich, was der Prinz überhaupt an ihm fand, an seinem kohlrabenschwarzen Haar, dessen Locken durch die diamantbesetzte Spange nur mühsam im Zaum gehalten wurden. An seinem Körper, der eben der eines Kindes war, definiert nur durch einige spitze Knochen, die sogar durch den Stoff des prachtvollen Kleides hindurch zu sehen waren. Ohne Mühe konnte es sich bereits das Gelächter der Anderen vorstellen, das des Prinzen, wenn es den Ballsaal betreten würde, mit seinen krummen Beinen und seinem gesenkten Blick. Armselig würden sie es nennen, ein Gedanke, der den Zorn des jungen Mädchens erweckte, doch nicht auf den Prinzen oder irgendjemanden sonst, sondern auf sich selbst. Es hasste seine eigene Erscheinung und niemand war da, um ihm diesen Hass zu nehmen, diese Angst, alleine vor seinem Spiegel. Niemand, bis auf die Fee, die sich im selben Augenblick umgeben von herrlich glitzerndem Staub durch ein leises Hüsteln bemerkbar machte, welches das junge Mädchen erschrocken aus seiner Position fahren ließ. Das Mädchen, innerlich immer noch in Ohnmacht, schien nicht dazu fähig zu sein zu sprechen, und so übernahm die Fee, einige Meter vor ihm schwebend, die Führung. ,,Was macht solch ein süßes Kind mit einem solch großen Herz weinend in seinem Ankleidezimmer, kurz vor dem Abend seines Lebens?“, fragte sie. Und als das beschämte junge Mädchen darauf keine Antwort fand, begann sie, ihm vom Leben zu erzählen. Tröstend, davon, dass dunkle Zeiten kommen und gehen, aber das, was bleibt, die allmächtige Kraft des Lebens ist. Der unbändige, starke Wille zum Leben das sei, was sich ein jeder, seien die Zeiten noch so schwer, erhalten müsse. Und sie zeigte Verständnis für die Situation des Mädchens, das sich Zeit seines Lebens unverstanden gefühlt hatte, denn sie war sie Erste, die nicht im Augenblick ihrer Begegnung ein Urteil über es fällte. Die Fee erzählte von der Liebe, die sie für ein jedes Wesen empfand, und die auch das junge Mädchen sich aneignen solle. Denn Schwermut siege nur dort, wo es die Liebe nicht gibt. Und der Zauber der Fee begann zu wirken. Er zeigte dem jungen Mädchen, dass Außergewöhnlichkeit nichts Hässliches ist, es sich niemals für sich selbst zu schämen brauche, und dass die wichtigste Liebe zunächst einmal die Liebe zu sich selbst ist. Eines Tages, wenn das Kind sich selbst lieben würde, dann würde es diese Liebe auch anderen geben können, und diese würden sie ihm mit Freude zurückschenken. Dem Mädchen wurde bewusst, dass es zum richtigen Zeitpunkt seinen eigenen Prinzen finden würde. Die Verwandlung des Mädchens begann an einem Frühlingstag in einem stickigen Ankleidezimmer, doch sie erhob sich weit über dieses Zimmer hinweg und würde das Mädchen sein Leben lang begleiten. Denn als die Fee es verließ, da leuchtete es von innen hinaus und wusste, dass Wunder nichts Unmögliches waren. Und die Rose, die die Fee ihm unbewusst vor ihrem Verschwinden in seine Hand gelegt hatte, zeigte ihm für alle Zeiten die wichtigste Lehre seines Lebens auf; sich selbst zu lieben. Beschwingt von diesem Wissen und umgeben vom Zauber der letzten Minuten erhob sich das junge Kind, nun eine junge Frau, straffte seine Kleider, hob seinen Blick, Augen von Freude über die Zukunft tief gezeichnet, und machte sich auf zum Ball. Stetigen Schrittes, jeden Zweifel aus seinem Gesicht verschwunden.